Outdoor-Training

Die Outdoor-Saison hat längst begonnen, die Mountainbikes sind auf Vordermann gebracht, die Laufschuhe geschnürt, die Segel gehisst – aber Mutter Natur hat deutlich mehr zu bieten als die bewährten Outdoor-Sportarten. Natürliche Gegebenheiten können kostenfrei und mit wenig Aufwand für neue Trainingsreize genutzt werden.

Endlich wieder raus! Nach der langen Indoor-Saison im Studio lechzt man förmlich nach frischer Luft und möchte dem überbordenden Bewegungsdrang endlich den verdienten Auslauf bieten. Mit einer Portion Kreativität lässt sich draußen vieles anstellen, wofür man weder Trainingsgeräte mitschleppen noch Geld bezahlen muss.

Natural born movers

Für Kinder ist es selbstverständlich, draußen zu spielen und zu toben. Dieser Bewegungsdrang ist uns angeboren. Es beginnt damit, dass Babys in der frühkindlichen Phase immer wieder versuchen, sich aus der Rückenlage auf den Bauch zu drehen, oder sich in der weiteren Entwicklung an einem Schrank hochziehen und zum ersten Mal aufrichten. Wer Kinder beobachtet, wenn sie gerade laufen gelernt haben, wird feststellen, dass sie von ihrer zweibeinigen Aufrichtung vielfältigen Gebrauch machen: Sie gehen selten „normal“, sondern bewegen sich hopsend, rennend oder hüpfend fort. Dabei sammeln sie viele koordinative Sinneserfahrungen, die ihr Körper weiterverarbeitet und für seine motorische Entwicklung nutzt.

Bewegungsdrang? Fehlanzeige!

Der natürliche Bewegungsdrang geht uns Erwachsenen verloren. Und somit nehmen wir uns unsere angeborene, genetisch festgelegte Bewegungsvielfalt. Viele Bewegungen vergessen wir schlichtweg und bemerken den Verlust zunächst gar nicht – bis wir dann vielleicht zufällig feststellen, dass der letzte Sprint schon eine ganze Weile zurückliegt oder ein Sprungkrafttraining unglaublich anstrengt. Denn häufig ist auch unser regelmäßiges Training nicht von Abwechslung und neuen Trainingsreizen geprägt. Viele Sporttreibende sind sich dabei gar nicht bewusst, dass sie in ihrem Training bereits einer Ritualisierung ausgesetzt sind, weil sie sich für eine bestimmte Sportart entschieden haben oder der wöchentliche Stundenplan langfristig feststeht und mit dem beruflichen Alltag harmonieren muss. Gerade im Sommer bietet die Natur eine gute Chance, aus dem sportlichen Alltagstrott auszubrechen und Neues zu probieren.

Unsere Füße haben mehr verdient

In den Wahrnehmungsrezeptoren (Propriozeptoren) der Fußsohlenfaszie (Plantarfaszie) findet die Rückmeldung zur Untergrundbeschaffenheit statt, um so die Arbeit und die Stellung der einzelnen Körperstrukturen den Gegebenheiten anzupassen. Unsere Bewegungen sind also vom Spüren und Verarbeiten sensorischer Informationen aus Muskeln, Gelenken und Faszien abhängig. Kleinste Sinnesreize werden folglich von den Rezeptoren in den Füßen aufgenommen und in Millisekunden an Rückenmark und Gehirn weitergeleitet. Über das zentrale Nervensystem reagiert das Bewegungssystem blitzschnell und kann eine eventuell notwendige Korrektur sofort umsetzen. Die Plantarfaszie der Fußsohle ist oft der Ursprung von Problemen, die dann nach kranial weitergeleitet werden. Eine Einschränkung der plantaren Beweglichkeit geht häufig mit einer verkürzten Ischiokruralmuskulatur, einer Lumballordose und einer Hyperextension der oberen Halswirbelsäule einher. Das fasziale Netzwerk ist ein System, das die motorischen Funktionen in unserem Körper vielfältig verbindet und strukturell beeinflusst.

Der Trainingsuntergrund

Auf Moos oder Kieselsteinen bewirkt die gleiche Übung neue Herausforderungen und setzt neue Trainingsreize. Unebenes Gelände und verschiedene Untergründe eignen sich außerdem hervorragend, um in Balanceübungen neue Schwierigkeitsstufen einzubauen. Das Training auf abwechslungsreichem Untergrund ist also eine Herausforderung für die Stabilisierungsarbeit unserer Muskulatur und nebenbei auch noch Sturzprophylaxe. Abfallendes oder aufsteigendes Gelände kann Übungen leichter oder schwerer machen und ein ursprünglich konzentrisches Training in ein exzentrisches verwandeln. Somit gibt uns das Einbeziehen topografischer Abwechslung des Geländes in das Training unterschiedlich Schwerkraftsicherheit in allen Bewegungsebenen und Körperstellungen. Das bedeutet, dass unser Bewegungsapparat noch besser lernt, wie viel Kraft er einsetzen muss, um uns an einem Hindernis hochzuziehen, einen Ball in die Luft zu werfen oder aus der Hocke nach oben zu springen.

Räumliche Fokussierung unmöglich

Unser vestibuläres System ist somit gefordert, auf die veränderten Bedingungen angemessen zu reagieren. Zum vestibulären System (Gleichgewichtssinn) gehören Augen und Sehnerv, Tastsinn, Tiefensensibilität und Muskulatur. Vestibuläre Stimulation ist wichtig für unsere räumliche Wahrnehmung. Bei einer Störung kann sich dies sogar auf unsere sozialen Beziehungen auswirken, weil es uns schwerfällt, die Dimension des Raumes um uns herum richtig einzuschätzen. Das kann sich zum Beispiel zeigen, wenn wir in Menschenansammlungen unterwegs sind: Bei einer vestibulären Störung kann der Betroffene schwer einschätzen, wie viel Raum benötigt wird, um einer Person auszuweichen. Ähnlich ist es beim Umgang mit Trainingstools oder Spielgeräten: Dabei greifen Menschen mit beeinträchtigtem vestibulären System häufig daneben oder schätzen Raumgrenzen falsch ein.

Training draußen ist fast ein Selbstläufer

Für ein Outdoor-Training musst du keine großen Vorbereitungen treffen und kein Übungsgerät mitnehmen, sofern du für Spontaneität offen und kreativ bist. Mit einer Parkbank, einem umgefallenen Baum, natürlichen Hindernissen oder Geräten auf einem Spielplatz lässt sich ganz einfach ein innovatives Training konzipieren, das neue Herausforderungen bietet und Spaß macht.Beispielsweise vereint das Klettern auf einen Baum viele Trainingsziele und -effekte. Klettern aktiviert unser evolutionär angelegtes Bewegungsmuster und trainiert neben Muskeln und Faszien auch die Koordination und Beweglichkeit.

Was gibt es zu bedenken?

Auch beim Training draußen ist die präzise Ausführung der einzelnen Übungen wichtig, damit sich falsche Bewegungsmuster nicht im Training verfestigen, sondern korrigiert werden. So ist beispielsweise auf die korrekte Beinachsenausrichtung bei Squats und Jumps genauso zu achten wie auf die nach außen rotierte Schultergelenkjustierung beim Klettern und Hangeln. Das sogenannte Alignment funktioneller Einheiten sollte auch im Freien selbstverständlich sein – denn nur dann ist die Bewegungsfreude beim abwechslungsreichen Outdoor-Training auch langanhaltend positiv spürbar.

Es gilt also, das Kind in uns wieder zu wecken und Bewegungsvielfalt ins Training zu bringen. Draußen gibt es alle Möglichkeiten dazu. Um sich durch ein Training an der frischen Luft ausgepowert und gut zu fühlen, ist jedoch die Gestaltung entscheidend.